[Empfänger:] Regierung der Oberpfalz, Sachgebiet 310 Emmeransplatz 8 93047 Regensburg 01.07.2003 Widerspruch gegen die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht zwischen den Stadtteilen Graß und Leoprechting und Gegenrichtung bzw. zwischen den Stadt- teilen Leoprechting und Oberisling und Gegenrichtung Sehr geehrte Damen und Herren, am 08.01.2003 habe ich Widerspruch gegen die Anordnung einer Radwegebenutzungs- pflicht zwischen den Stadtteilen Graß und Leoprechting und Gegenrichtung (Brunnstraße - Liebhartstraße) und zwischen den Stadtteilen Leoprechting und Oberisling und Gegenrichtung (Liebhartstraße - Rauberstraße) beim Amt für öffentliche Ordnung und Straßenverkehr der Stadt Regensburg erhoben (s. Anlage). Im Schreiben vom 11.06.2003 (s. Anlage) erläutert dieses Amt seine Position zur Radwegebenutzungspflicht in diesem Abschnitt und verweist auf die Weiterleitung an Ihre Dienststelle zum 30.06.2003. Im Folgenden nehme ich als Ergänzung zu meinem Widerspruch vom 08.01.2003 Stellung zu den Aussagen in dem Schreiben der Stadtverwaltung. Zur Anordnung der Radwegebenutzungspflicht wird seitens der Stadtverwaltung ausgeführt: Die Radwegbenutzungspflicht konnte angeordnet werden, da die Anordnung den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht verletzt. Dies ist nicht richtig. In § 45 Abs. 9 StVO heißt es: Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen sind nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend geboten ist. Abgesehen von der Anordnung von Tempo 30-Zonen nach Absatz 1c oder Zonen-Geschwindig- keitsbeschränkungen nach Absatz 1d dürfen insbesondere Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allge- meine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt. In vorliegendem Fall sind weder Umstände erkennbar, die eine Radwegebenutzungs- pflicht "zwingend" erfordern würde, noch besteht eine Gefahrenlage, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in der StVO aufgeführten Rechtsgüter "erheblich" übersteigt. Die behördliche Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht beschränkt die ansonsten zulässige Benutzung bestimmter Straßenabschnitte für Radfahrer und setzt das Vorhandensein besonderer, zu dieser Regelung zwingender Umstände voraus. Ein solcher Umstand kann ausschließlich die aufgrund der besonderen örtlichen Verhältnisse bestehende außergewöhnliche Gefahrenlage sein. Diese Argumentation vertreten auch Gerichte in ihren Urteilen gegen die Anordnung von Radwegebenutzungspflichten. Als Beispiel verweise ich auf das Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin vom 28.09.2000 (27 A 206,99), wo dieser Punkt ausschlaggebend war, um sich gegen die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht auszusprechen (und zwar sogar auf relativ stark befahrenen, mehrspurigen Straßen). Eine außergewöhnliche Gefahrenlage ist hier nicht gegeben. Im Gegenteil: Es handelt sich um Verbindungsstraßen peripherer Stadtteile mit äußerst niedriger Verkehrs- belastung. Der im Schreiben der Stadtverwaltung angegebene "Schwerlastverkehr" ist nicht festzustellen, da mit der Franz-Josef-Strauß-Allee eine parallel geführte, leistungsfähige Umgehungsmöglichkeit für den Kfz-Verkehr besteht. Dementsprechend ist auch kein "Sicherheitsgewinn" bei der Abwägung der Verhältnis- mäßigkeit anzusetzen. In einschlägigen Studien (s. Anlage) wurde durch die Benutzung von Radwegen insbesondere im Kreuzungs- und Einmündungsbereich ein z.T. erheblich erhöhtes Unfallrisiko gegenüber der Benutzung der Fahrbahn nachgewiesen, wobei auch auf der Strecke kein Sicherheitsgewinn bei Radwegbenutzung festgestellt werden konnte. Abgesehen davon müsste konkret für vorliegenden Fall die anordnende Behörde durch statistisch signifikantes Zahlenmaterial zum Unfallgeschehen nachweisen, dass eine außergewöhnliche Gefahrenlage gegeben ist. Zum vermeintlichen Unfallgeschehen führt die Stadtverwaltung an: Die Vermeidbarkeit von Unfällen bei Benutzung des Radweges ergibt sich bereits daraus, dass ein Kontakt auf der Fahrbahn zwischen Fahrrädern und Kraftfahrzeugen auf einer Länge von rd. 1,25 km ... nicht besteht. Analysen des Unfallgeschehens mit Beteiligung von Radfahren (s. Anlage) belegen, dass nur ein sehr geringer Teil der Unfälle im Längsverkehr geschieht, da sich Radfahrer auf der Fahrbahn im Blickfeld und somit im Bereich der direkten Wahr- nehmung durch andere Verkehrsteilnehmer befinden. Als problematisch erweisen sich dagegen Kreuzungs- und Einmündungsbereiche, wobei die Situation durch abgesetzte Radwege nochmals deutlich verschärft wird, weil Radfahrer dabei der direkten Wahr- nehmung durch Fahrzeugführer auf der Fahrbahn entzogen sind. Das Amt für öffentliche Ordnung und Straßenverkehr räumt in seinem Schreiben "geringfügige Zeitverluste" durch die Benutzung des Radweges ein. Tatsächlich handelt es sich um eine massive Behinderung des Radverkehrs: Die anordnende Behörde stellt fest: Ein stärkeres Gefälle, das hohe Geschwindigkeiten bei Radfahrern erwarten lassen würde, ist ebenfalls nicht vorhanden. Dies ist nicht richtig. Die Brunnstraße ebenso wie die Liebhartstraße weisen ein erhebliches Gefälle in West-Ost-Richtung auf, das es Radfahrern erlaubt, mühelos mit Geschwindigkeiten um 30 km/h zu fahren (allein vom Feuerwehrhaus in Graß, Brunnstraße, bis zur Bushaltestelle in Leoprechting, Liebhartstraße, besteht nach Angaben des amtlichen Stadtplans der Stadt Regensburg eine Höhendifferenz von 26,4 m). Jedoch bereits am Beginn des benutzungspflichtigen Radwegs in Graß müssen Radfahrer nahezu bis zum Stillstand abbremsen, um von der Brunnstraße rechtwinklig abzubiegen und über eine schmale, geschotterte Zufahrt auf den Radweg zu gelangen (s. Bild 1 in der Anlage). Ebenso wird festgestellt: Die Ein- und Ausleitungen in und aus den Radwegen liegen ausschließlich innerhalb von Tempo-30-Zonen. Diese Darstellung verschweigt, dass der Radweg in Leoprechting nicht in die Liebhartstraße mündet, der er eigentlich folgt, sondern in die Straße "Am Bach". Bei der dortigen Einmündung sind Radfahrer, die dem Radweg der Liebhartstraße folgen, wartepflichtig. Ferner besteht wegen der dortigen Bebauung keine Sicht- beziehung zu herannahenden Fahrzeugen. Radfahrer müssen also dort wiederum fast zum Stillstand abbremsen, ggf. Vorfahrt gewähren, in die Straße "Am Bach" einbiegen, bei der Einmündung in die Liebhartstraße wiederum ggf. Vorfahrt gewähren, um letzt- lich auf die Straße zu gelangen, entlang derer sie ursprünglich fahren wollten. Beim Beginn des nächsten Abschnitts des benutzungspflichtigen Radwegs am östlichen Ortsende von Leoprechtig müssen Radfahrer abermals die Geschwindigkeit deutlich verringern, um unter Vermeidung der Sturzgefahr über einen mit grobem Pflaster belegten Seitenstreifen (Bushaltestelle) auf den Radweg zu gelangen. Für die Einmündung der Lieperkingstraße in die Liebhartstraße wird ausgeführt: An der Einmündung der Lieperkingstraße in die Rauberstraße konnten keine Sichtprobleme festgestellt werden. Ich muss vermuten, dass nur deswegen "keine Sichtprobleme" festgestellt werden konnten, weil die örtlichen Gegebenheiten gar nicht überprüft wurden. Das Sichtdreieck ist ausreichend dimensioniert, um ankommende Radfahrer rechtzeitig erkennen zu können. Diese Aussage ist nicht richtig. Weder kann ein von der Liebhartstraße in die Lieperkingstraße nach rechts abbiegendes Fahrzeug Radfahrer auf dem Radweg recht- zeitig erkennen, noch kann ein von der Lieperkingstraße in Richtung Liebhartstraße oder Rauberstraße fahrendes Fahrzeug auf dem Radweg herannahende Radfahrer recht- zeitig erkennen, weil jeweils dichte Vegetation mit Bäumen und Büschen einerseits bzw. im Sommer hoch stehender Mais andererseits die Sicht verdeckt (s. Bild 2 bis 4 in der Anlage). Das an der Lieperkingstraße angebrachte Zeichen 138 ist kein geeignetes Mittel, um Fahrzeuglenker dazu zu veranlassen, bereits so weit vor der eigentlichen Einmündung in die Liebhartstraße die Geschwindigkeit hinreichend zu drosseln, um ggf. für vorfahrtsberechtigte Radfahrer anhalten zu können. Allein zum eigenen Schutz sind Radfahrer dort genötigt, wiederum die Fahrt zu verlangsamen, um notfalls auf ihr Vorfahrtsrecht zu verzichten. Hinsichtlich der besonderen Erfordernisse für in beide Richtungen zu benutzende Radwege sei auf die ausführ- lichen Bestimmungen der VwV-StVO verwiesen. Die dort beschriebenen Voraussetzungen bezüglich der Sichtbeziehungen der Verkehrsteilnehmer untereinander sind in diesem Fall nicht gegeben. Hinsichtlich des kombinierten Geh- und Radweges wird im Schreiben der Stadtverwaltung festgestellt: Eine überdurchschnittlich hohe Benutzung durch besonders schutzbedürftige Fußgänger (ältere Menschen, Behinderte, Kinder) war bei Anordnung der Benutzungspflicht nicht zu erwarten und kann auch jetzt nicht festgestellt werden. Da dieser Weg mit geringer Breite in Oberisling direkt an einer Kindertagesstätte vorbei führt, ist dort insbesondere in den Zeiten, an denen Kinder gebracht und abgeholt werden (werktags 7 bis 9 Uhr und 11.30 bis 14 Uhr), sehr wohl mit einer überdurchschnittlich hohen Benutzung durch Kinder zu rechnen, so dass dieser Streckenabschnitt in den angegeben Zeiten für Radfahrer faktisch nicht oder nur mit Schrittgeschwindigkeit benutzt werden kann. Insbesondere im Ortsbereich von Oberisling reicht die Radwegebenutzungspflicht weit in eine Tempo-30-Zone hinein (s. Bild 5 in der Anlage). Das Schreiben der Stadtverwaltung führt hierzu aus: Die besonderen örtlichen Voraussetzungen verlangen die Führung des benutzungspflichtigen gemeinsamen Fuß- und Radweges auf kurzer Strecke in die Tempo-30-Zonen hinein. In Oberisling ergibt sich dieser Zwang aus der Lage des Beginns der geschlossenen Ortschaft und der Tempo-30-Zone im Kurvenbereich. Hierzu bestimmt die StVO in § 45 Abs. 1c: Die Straßenverkehrsbehörden ordnen ... Tempo 30-Zonen im Einvernehmen mit der Gemeinde an. Die Zonen-Anordnung darf sich weder auf Straßen des überörtlichen Verkehrs ... noch auf weitere Vorfahrtstraßen ... erstrecken. Sie darf nur Straßen ohne Lichtzeichen geregelte Kreuzungen oder Einmündungen, Fahrstreifenbegrenzungen ..., Leitlinien ... und benutzungspflichtige Radwege (Zeichen 237, 240, 241 oder Zeichen 295 in Verbindung mit Zeichen 237) umfassen. Eine Radwegebenutzungspflicht darf also nicht in Tempo 30-Zonen angeordnet werden. Diese Bestimmung gilt ohne Ausnahme oder Übergangsbestimmung und selbst für kurze Streckenabschnitte. Allein aus diesem Grund sind auch andere Radwegebenutzungspflichten im Stadtgebiet Regensburg (z.B. im südlichen Teil der Klenzestraße) unzulässig. Der von der Stadtverwaltung angeführte "Zwang" zur Anordnung der Benutzungspflicht in einer Tempo 30-Zone ist durch nichts begründet. Im Gegenteil, durch die StVO ist explizit ein Verbot dieser Kombination gegeben. Selbst wenn dieser Abschnitt des kombinierten Geh- und Radweges nicht in einer Tempo 30-Zone läge, dürfte keine Benutzungspflicht angeordnet werden, da die maß- gebliche Mindestbreite nach VwV-StVO von 2,50 m deutlich unterschritten wird. Für diesen Fall gilt nach VwV-StVO zu § 2 Abs. 4 StVO: Ausnahmsweise und nach sorgfältiger Überprüfung kann von den Mindest- maßen dann, wenn es aufgrund der örtlichen oder verkehrlichen Verhältnisse erforderlich und verhältnismäßig ist, an kurzen Abschnitten (z.B. kurze Eng- stelle) unter Wahrung der Verkehrssicherheit abgewichen werden. Die einschlägigen juristischen Kommentare (z.B. Kopp, Schenke: Kommentar zur VwGO) betonen dabei die außergewöhnlichen Umstände und Besonderheiten, die für eine Ab- weichung von den Mindestbreiten vorliegen müssen. Ein solcher Umstand ist an dem fraglichen Streckenabschnitt nicht gegeben. Ähnliches gilt für die Benutzungspflicht in Gegenrichtung als linksseitiger Radweg: Auch hierfür muss innerorts ein "besonderer Ausnahmefall" vorliegen, was jedoch in diesem Fall nicht erkennbar ist. Die Verpflichtung der anordnenden Behörden, nach den betreffenden Bestimmungen der VwV-StVO zu handeln, wurde in ähnlichen Fällen durch Gerichtsurteile bestätigt (z.B. VG Hamburg, 20 VG 1279/2001). Die Anordnung der Radwegebenutzungspflicht an den genannten Streckenabschnitten ist folglich aus Gründen der Verhältnismäßigkeit und Verkehrssicherheit rechtswidrig, und ich bitte, meinem Widerspruch statt zu geben und die Aufhebung der Benutzungs- pflicht auf dieser Strecke anzuordnen. Mit freundlichen Grüßen Klaus Wörle Anlage: Bildanhang Widerspruch vom 08.01.2003 an das Amt für öffentliche Ordnung und Straßenverkehr der Stadt Regensburg (Kopie) Schreiben des Amts für öffentliche Ordnung und Straßenverkehr der Stadt Regensburg vom 11.06.2003 (Kopie) Studien zur Unfallhäufigkeit bei Benutzung von Radwegen im Gegensatz zur Fahrbahn (Referenzen und Auszüge)