[Empfänger:] Bayerisches Verwaltungsgericht Regensburg Haidplatz 1 93047 Regensburg 13.01.2004 Sehr geehrte Damen und Herren, für Ihr Schreiben vom 09.12.2003, in dem Sie die Stellungnahme der Beklagten vom 04.12.2003 an mich weiterleiten, danke ich Ihnen. Hierzu nehme ich wie folgt Stellung: 1 Persönliche Betroffenheit Als Bewohner des Stadtteils Graß stellt die streitgegenständliche Strecke zwischen Graß und Leoprechting sowie Leoprechting und Oberisling die kürzeste und einzig sinnvolle Verbindung zu den südöstlichen Stadtteilen von Regensburg (z.B. den Gewerbestandorten an der Bajuwaren- oder Landshuter Straße), sowie zu den angrenzenden Gemeinden (z.B. Ober- und Neutraubling, Barbing) dar. Da das Fahrrad für mich das Hauptverkehrsmittel - zumindest auf Strecken unter 15 km Länge - darstellt, lege ich diese Strecke mit dem Fahrrad regelmäßig mehrmals wöchentlich bis mehrmals täglich zurück, und zwar sowohl für Einkäufe als auch zur Freizeitgestaltung (z.B. Besuch von Bekannten, Badeweiher östlich von Regensburg). Ferner bin ich als Dozent der Volkshochschule für den Landkreis Regensburg (Geschäftsstelle in Neutraubling) tätig. Mehrere seit Jahren vorliegende umfangreiche Untersuchungen von Unfällen mit Radfahrerbeteiligung haben zur Erkenntnis, dass viele straßenbegleitende Radwege eine trügerische Sicherheit bieten, und mit zu den Änderungen der StVO geführt, um die es hier geht. Für Strecken wie die zu beurteilende bin ich zu dem Schluss gelangt, dass es sicherer wäre, die Fahrbahn statt den gemeinsamen Fuß-/Radweg zu benutzen. Dies wird mir jedoch durch die angeordnete Benutzungspflicht verwehrt. Hinzu kommt, dass ich mich gewöhnlich zügig mit dem Fahrrad fortbewege, um die häufig unvermeidlichen Zeitverluste gegenüber der Benutzung von motorisierten Verkehrsmitteln zu minimieren und eventuell daraus resultierende Nachteile zu vermeiden. Dabei sind Geschwindigkeiten um 30 km/h und auch darüber üblich. Dies ist auf den gemeinsamen Fuß-/Radwegen schon deshalb in der Regel nicht möglich, weil ich dort nach § 41 Abs. 2 Nr. 5 c StVO verpflichtet bin, "auf Fußgänger Rücksicht zu nehmen", an diesen also nicht in einem - angesichts der Wegbreite - notwendigerweise geringen Abstand mit der genannten Geschwindigkeit vorbeifahren kann oder - z.B. bei der Begegnung mit einer Gruppe - eventuell sogar absteigen muss. Daher schränkt mich die Benutzungspflicht auf den bezeichneten Streckenabschnitten erheblich ein. 2 Begründetheit 2.1 Sachverhalt Die Fahrbahnbreite von 5,50 m begründet entgegen der Darstellung der Beklagten keine "besondere Gefahrenlage", zumal die Fahrbahnstrecken zwischen Graß und Leoprechting und zwischen Leoprechting und Oberisling übersichtlich und auf große Distanzen einsehbar sind, insbesondere liegen keine Kuppen oder enge Kurven vor. Zudem erleuchtet nachts die Straßenbeleuchtung nicht nur den Fuß-/Radweg (wie von der Beklagten behauptet), sondern auch die Fahrbahn, da die Leuchten hinreichend hoch angebracht sind. Ferner haben Fahrräder eine Beleuchtung nach den Bestimmungen des § 67 StVZO aufzuweisen, und § 17 Abs. 1 StVO verpflichtet Radfahrer, diese bei Dunkelheit oder eingeschränkter Sicht zu benutzen, so dass die Sicht- und Erkennbarkeit für andere Verkehrsteilnehmer auch ohne externe Lichtquelle gewährleistet ist. Schnellerer Verkehr kann problemlos Radfahrer überholen, da eine Fahrbahnbreite von 5,50 m die Einhaltung eines der Differenzgeschwindigkeit angemessenen Seitenabstands von ca. 1,50 m erlaubt. Ein Überholen trotz Gegenverkehr wäre demgegenüber erst ab einer Fahrbahnbreite von über 10 m möglich (Abstand Radfahrer-Fahrbahnrand: 0,50 m + Breite Radfahrer: 0,50 m + Sicherheitsabstand des Überholers: 1,50 m + max. Breite des Überholers (Lkw): 2,50 m + Sicherheitsabstand zum Gegenverkehr: 2 m + max. Breite des Gegenverkehrs (Lkw): 2,50 m + Abstand des Gegenverkehrs zum Fahrbahnrand: 0,50 m = 10 m). Eine "besondere Gefahrenlage" im Sinne der Beklagten ginge demnach von jeder Straße unter 10 m Breite - mithin von einem Großteil aller zweispurig angelegten Straßen - aus. Selbst wenn die Fahrbahn noch schmäler wäre, müsste nach § 5 StVO mit § 1 StVO ggf. schnellerer Verkehr generell auf das Überholen verzichten. Angesichts einer auf die Fahrbahnbreite abgestimmten Geschwindigkeitsbegrenzung (wie 60 km/h in vorliegendem Fall) und eines einsehbaren, übersichtlichen Streckenverlaufs (hier ebenso vorliegend) ergeben sich daraus keine Gefährdungspotenziale. Die Bequemlichkeit und Leichtigkeit der Abwicklung des motorisierten Verkehrs auf der Fahrbahn kann nach § 45 Abs. 9 StVO kein Grund für die Anordnung einer Radwegebenutzungspflicht sein. Die besonderen Gefahren und Behinderungen bei der Benutzung des vorliegenden Fuß-/Radwegs durch Radfahrer wurden im bisherigen Schriftverkehr ausführlich dargelegt und auch durch Fotos belegt. Ergänzend zu den Ausführungen der Beklagten bleibt festzustellen: An der Einmündung der Lieperkingstraße besteht gerade in der Vegetationsperiode keine ausreichende Sichtbeziehung. Bei dem aus westlicher Richtung kommenden Fuß-/Radweg reicht dichter Bewuchs mit Bäumen und Sträuchern bis unmittelbar an die Einmündung der Lieperkingstraße. Bei dem aus östlicher Richtung kommenden Weg reicht eine landwirtschaftliche Nutzfläche bis an die Einmündung der Lieperkingstraße, so dass in dieser Richtung die angebauten Nutzpflanzen ab einer gewissen Wuchshöhe eine Sichtbeziehung verhindern. Die Markierung einer Radwegefurt ist kein ausreichendes Mittel, um die Gefährdung durch unachtsam querende Fahrzeuge wesentlich zu vermindern, wie umfangreiche Studien zu diesem Thema belegen (z.B. "Sicherung von Radfahrern an städtischen Knotenpunkten", Bericht zum Forschungsprojekt 8925 der Bundesanstalt für Straßenwesen, Bergisch Gladbach, 1992, s. Anlage 1). Ein Pkw-Fahrer, der sich nur auf den vorfahrtberechtigten Verkehr auf der Liebhartstraße konzentriert und einen auf dem Radweg fahrenden Fahrradfahrer wahrnimmt, sobald er in sein Gesichtsfeld kommt, und dann eine Vollbremsung einleitet, würde mit diesem mit etwa 15 bis 20 km/h kollidieren (s.Anlage2). Nur als Obiter Dictum weise ich darauf hin, dass nach Nr. II Abs. 4 a) VwV zu § 2 Abs. 4 S. 3 StVO für den von der Vorfahrtstraße abbiegenden Verkehr eine Beschilderung mit Zeichen 138 und Zusatz 1000-30 vorgesehen ist, welche in vorliegendem Fall fehlt. Bereits vor dem Beginn des Fuß-/Radweges in Graß weist die Brunnstraße ein beträchtliches Gefälle von etwa 4% auf (entnommen aus dem Geländeprofil der Topographischen Karten 1:50.000 des Bayerischen Landesvermessungsamts), so dass das zur ursprünglichen Fahrtrichtung rechtwinklige Einbiegen auf den Radweg (der eigentlich die Verlängerung der Straße "Hofweg" darstellt) über die geschotterte Zufahrt nur durch starkes Abbremsen möglich ist. Nach der weiterhin mit mäßigem Gefälle verlaufenden Wegstrecke bis Leoprechting ist wiederum bis fast zum Stillstand abzubremsen, um zunächst dem Verkehr in der Straße "Am Bach" Vorfahrt zu gewähren und danach wiederum unter Beachtung der Vorfahrt zurück auf die Liebhartstraße einzubiegen. Eine Sichtbeziehung mit Verkehrsteilnehmern auf der Straße "Am Bach" besteht nicht, weil die dortige Wohnbebauung offenbar unter Einhaltung minimaler Abstandsflächen (ca. 3 m) zu Fahrbahn und Fuß-/Radweg errichtet wurde. Darüber hinaus verhindert ein auf der Abstandsfläche zwischen Wohnhaus und Fuß-/Radweg erbauter Carport jegliche Einsicht in die querende Straße. Diese Verkehrsführung stellt eine massive Benachteiligung und auch Gefährdung dar im Gegensatz zum zügigen, geradlinigen Durchfahren der Strecke auf der Fahrbahn. Die nach Nr. II Abs. 2 Satz 1 der VwV-StVO zu § 2 Abs. 4 Satz 2 StVO geforderte stetige und sichere Linienführung ist nicht gegeben. Die von der Beklagten und von mir unterschiedlich genannten Entfernungsangaben ergeben sich aus folgendem Umstand: Die Beklagte nennt jeweils die gesamte Länge der benutzungspflichtigen Radwegstücke (Graß-Leoprechting ca. 520 m, Leoprechting-Oberisling ca. 730 m). Demgegenüber wurden von mir die Streckenlängen zwischen den Stadtteilen angegeben, auf denen die 60 km/h-Geschwindigkeitsbegrenzung besteht (Graß-Leoprechting knapp 400 m, Leoprechting-Oberisling ca. 500 m), da Teile der Argumentation der Beklagten gerade auf diese Strecken abzielen (s.a. Anlage 3). Angesichts der Kürze der Streckenabschnitte mit einer 60 km/h-Geschwindigkeitsbeschränkung und der untergeordneten Funktion im Straßennetz als kleinräumige Verbindung eng benachbarter Stadtteile können diese Strecken nicht nach Kriterien bewertet werden, die auf Staats- und Bundesstraßen mit wesentlich höheren Geschwindigkeitsprofilen und Verkehrsdichten ausgerichtet sind. Die restliche Streckenlänge liegt im Wesentlichen in Tempo 30-Zonen, wobei in Oberisling die nicht unerhebliche Strecke von etwa 200 m als - auch in Gegenrichtung - benutzungspflichtiger kombinierter Fuß-/Radweg in einer Tempo 30-Zone ausgewiesen ist. Zum Unterschreiten der Mindestbreite von 2 m auf dem Streckenabschnitt zwischen Leoprechting und Oberisling trägt die von beiden Seiten in den Weg einwachsende krautige Vegetation bei, wobei auf einem Teil der Strecke zusätzlich Sträucher und Bäume ab einer Höhe von etwa 1,50 m seitlich auf den Weg einwachsen, wodurch die nutzbare Breite zusätzlich verringert wird. Die möglicherweise nach Planungsunterlagen der Beklagten vorgesehene Breite von 2 m steht zumindest in der Vegetationsperiode auf großen Teilen der Streckenlänge nicht zur Verfügung. Ferner umfasst das genannte Teilstück auch eine nicht unerhebliche Streckenlänge von etwa 200 m innerorts von Oberisling (die zudem direkt an einer Bushaltestelle und an einer Kindertagesstätte vorbeiführt), wofür Nr. II, Abs. 2 a) bb) VwV zu § 2 Abs. 4 S. 2 StVO eine Mindestbreite von 2,50 m fordert. Die Lage, Bemaßung und Beschaffenheit der hier und im bisherigen Schriftverkehr genannten Gegebenheiten sollte aus entsprechenden Bestands- und Flurplänen hervorgehen, über die die Beklagte verfügen müsste. Deshalb beantrage ich nur für den Fall, dass sich nicht alle entscheidungserheblichen Tatsachen unstreitig stellen lassen, hilfsweise die Einnahme eines Augenscheins. Im übrigen bitte ich das Gericht, der Beklagten die Vorlage der streitgegenständlichen Verkehrsanordnungen mit deren Begründung aufzugeben, sofern diese dem Gericht bislang noch nicht vorliegen. 2.2 Rechtliches Wie schon in der Begründung der Klage ausgeführt, von der Beklagten in der Klageerwiderung aber verkannt, geht es seit den wesentlichen Änderungen der StVO der vergangenen Jahre (§ 45 Abs. 9: Eingef. durch Art. 1 Nr. 13 V v. 7.8.1997 I 2028 mWv 1.9.1997; § 45 Abs. 9 Satz 2: IdF d. Art. 1 Nr. 9 Buchst. e V v. 11.12.2000 I 1690 mWv 1.2.2001; § 39 Abs. 1: Eingef. durch Art. 1 Nr. 7 Buchst. a V v. 7.8.1997 I 2028 mWv 1.9.1997) für die Legitimation des Verbots der Fahrbahnbenutzung durch den Radverkehr nicht und schon gar nicht primär um die Frage, ob der Zwang zur Benutzung einer anderen Verkehrsfläche zumutbar und mit Rücksicht auf Mitbenutzer dieser Fläche (hier der Fußgänger) vertretbar ist, sondern allein um die Erforderlichkeit, eine exorbitante Gefahrenlage zu unterbinden. Eine solche ist nicht gegeben. Die Beklagte trägt selbst nicht vor, dass es vor der Anordnung der Benutzungspflicht auf den betreffenden Strecken Unfälle aufgrund einer solchen Gefahrenlage gegeben habe, geschweige denn, dass sich Unfälle gerade dort gehäuft hätten. Soweit hier überhaupt von einer Gefahrenlage gesprochen werden kann, übersteigt sie keinesfalls "erheblich" das "allgemeine Risiko" wie es § 45 Abs. 9 Satz 2 StVO verlangt. Im Gegenteil, durch die Anordnung der Benutzungspflicht werden Radfahrer den spezifischen Gefährdungen an Knotenpunkten ausgesetzt, wie sie durch verschiedene Studien belegt wurden (s. Anlage 1). Zudem verursacht die bei Benutzung in Gegenrichtung erforderliche viermalige Überquerung der Fahrbahn eine zusätzliche Gefährdung. In diesem Zusammenhang muss gesehen werden, dass die bloße Aufhebung der Benutzungspflicht, wie sie mit dieser Klage angestrebt wird, den Radverkehr von der Mitbenutzung der gemeinsamen Fuß-/Radwege ja nicht ausschließt, sondern rein rechtlich ihm nur die oben zitierte Rücksichtnahme auf Fußgänger abverlangt, ansonsten aber erlauben würde, der vermeintlichen Gefahrenlage auf der Fahrbahn auszuweichen. Für einen solchen Fall sieht die StVO die durchaus häufig anzutreffende Beschilderung mit Zeichen 239 (Fußweg) und Zusatzzeichen 1022-10 (frei für Radfahrer) - ggf. zusätzlich mit Zusatzzeichen 1000-31 (beide Richtungen) - vor. Im übrigen wäre es für die (Klein-)Kinder und Besucher der Kindertagesstätte Oberisling tatsächlich ein Mehr an Sicherheit, wenn nicht jeder Radverkehr dort auf dem Weg vor dieser Einrichtung stattfinden müsste, weil ja auch Radfahrer ihrerseits die durch Geländer und Sträucher verdeckten Kinder erst wahrnehmen, wenn sie unvermittelt und bisweilen direkt vor vorbeifahrende Radfahrer auf den Weg laufen. Für die zeitnahe Terminierung einer mündlichen Verhandlung wäre ich dankbar. Mit freundlichen Grüßen Dr. Klaus Wörle Anlagen: Nr. 1 Studien zum Unfallgeschehen auf Radwegen Nr. 2 Schematische Darstellung der Situation an der Einmündung der Lieperkingstraße in die Liebhart-/Rauberstraße Nr. 3 Umgebungskarte der genannten Wegstrecke mit relevanten Verkehrszeichen